KUBAKRISE: "DAMIT PACKEN WIR KENNEDY BEI DEN EIERN"

President Kennedy and Secretary of Defense McNamara in an EXCOMM meeting. National Archives.

Commentary in Die Presse [in German]
13.10.2012 | 16:31 | von Günter Bischof (Die Presse)

Vor 50 Jahren hielt die Kubakrise die Welt in Atem. Die Stationierung sowjetischer Atomwaffen auf der karibischen Insel des marxistischen Revolutionärs Fidel Castro hatte die Welt an den Rand eines Atomkriegs geführt.

Vor einigen Jahren begann eine kurze Geschichte der Kubakrise vom Oktober 1962 mit dem lapidaren Satz: „Die Raketenkrise in Kuba war das gefährlichste Ereignis in der Menschheitsgeschichte.“

Das ist keine Übertreibung: Wegen der heimlichen Stationierung sowjetischer Atomwaffen auf der kommunistischen Insel südlich der USA kam es zu einem enormen US-Militäraufmarsch, ein Funke hätte genügt, um das nukleare Pulver zu zünden. Nach gut zwei Wochen war die Krise entschärft, die Raketen wurden abgezogen.

Doch warum hat sich Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow überhaupt zur Stationierung von Nuklearwaffen auf der fernen Zuckerinsel hinreißen lassen?

Im Jänner 1959 stürzte Fidel Castro mit seinen Revolutionären den US-gestützten kubanischen Diktator Fulgencio Batista. US-Präsident Dwight D. Eisenhower isolierte Kuba nun politisch und wirtschaftlich, also ging es eine Allianz mit Moskau ein. Die Russen kauften Kubas Zuckerernte und lieferten Waffen. Ein KP-Regime im Hinterhof der USA war aber inakzeptabel für Washington: Eisenhower befahl der CIA, Castro loszuwerden. John F. Kennedy, der 1961 ins Präsidentenamt kam, ließ den Plänen der CIA freien Lauf. Als aber die von der CIA gesponserte Invasion von etwa 2000 Exilkubanern in der Schweinebucht an Kubas Südküste im April 1961 vor dem Scheitern stand, weigerte sich Kennedy, die angeschlagene Truppe, die auf starken Widerstand stieß, mit Luftunterstützung zu retten. Kaum 100 Tage im Amt schlitterte Kennedy in ein Desaster.

USA auf Castro-Jagd. Kennedy hatte Schwäche gezeigt. Chruschtschow nützte das beim Wiener Gipfel der Supermächte im Juni 1961 aus und stellte dem Amerikaner die Forderung, aus Westberlin abzuziehen. Dann ließ Chruschtschow im August die Berliner Mauer bauen. Die Berlinkrise schwebte über den wachsenden Spannungen in Kuba. Die in der Schweinebucht gedemütigten USA setzten die CIA nun darauf an, Castro zu brüskieren und direkt anzugreifen. Agenten attackierten wirtschaftliche Objekte, man wollte Castro durch vergiftete Zigarren und verseuchte Schuhe umbringen oder sein Charisma zerstören. Die teils hirnverbrannten Aktionen der „Operation Mongoose“ lesen sich wie James-Bond-Persiflagen.

Allerdings war auch Chruschtschow unter Druck. Er musste seinen Musterschüler Castro an der Macht halten, gleichzeitig wollte er bei strategischen Nuklearwaffen mit den dort weit überlegenen USA gleichziehen (s. „Arsenal“). In einer Rede vor den UN hatte er getönt, man produziere Langstreckenraketen „wie Würste“ am Fließband, aber die USA waren weit voraus. Zudem hatten die USA nukleare „Jupiter“-Mittelstreckenraketen in Italien und vor allem der Türkei stationiert – vor der Haustür der Sowjets.

Chruschtschow schreibt in seinen Memoiren, die Idee, Kernwaffen nach Kuba zu bringen, sei ihm bei seinem Urlaub auf der Krim gekommen; ein Blick übers Schwarze Meer Richtung Türkei habe ihn an die US-Raketen dort erinnert. Solche Systeme auf Kuba vor der Nase des Klassenfeindes aber konnten die „Raketenlücke“ vis-à-vis den USA sowie den Belagerungszustand des Castro-Regimes aufheben.

„Operation Anadyr“. Im Frühsommer 1962 planten die Sowjets die Geheimoperation „Anadyr“ (nach einem Fluss in Sibirien). Fidels Bruder Raúl kam nach Moskau, um die Stationierung der Raketen abzusichern, Kuba gierte nach dem Atomschild. Chruschtschow sagte, so „packe er Kennedy bei den Eiern“. Im September kamen die Waffen: 42 SS-4 „Sandal“ würden mit einem Flugradius von 2000 Kilometer den Süden der USA und noch Washington erreichen. 24 SS-5 „Skean“ (Reichweite 4500 km) würden die USA fast ganz abdecken. Die Raketen kamen mit großen Sprengköpfen von 650 Kilotonnen bis 1,6 Megatonnen TNT-Äquivalent Explosionskraft. Dazu wurden 42 Bomber Iljuschin-28 „Beagle“ überstellt, davon sechs mit Kernwaffen. Man weiß heute, dass sechs „Luna“-Kurzstreckenraketen mit kleinen Zwei-Kilotonnen-Köpfen nahe der von Castro nicht beseitigbaren US-Basis Guantánamo in Ostkuba standen, andere Quellen sprechen gar von 100 taktischen Atombomben.

Mindestens 42.000 Sowjetsoldaten, Jagdflieger- und Marineeinheiten kamen. Kuba wurde ein nuklearer Flugzeugträger. Die CIA bemerkte die Raketen erst im Oktober (CIA-Chef John McCone hatte aber schon im August so etwas geahnt). Ein „U-2“-Aufklärungsflugzeug schoss am 14. Oktober die ersten Fotos von den Raketenbasen. Kennedy wurde am 16. Oktober informiert. Er traf sich mit seinen Beratern im „Executive Committee“ (ExComm), die meisten Mitglieder waren „Falken“ und wollten eine Invasion – oder Luftangriffe gegen die Basen, bevor sie feuerbereit waren. Die „Tauben“ plädierten für Verhandlungen, um Zeit zu gewinnen.

In diesen einsamen Stunden zeigte sich die mentale Stärke Kennedys. Er bot den Generälen die Stirn und schloss eine offensive militärische Lösung vorerst aus. Am 22. Oktober informierte er in einer TV-Rede sein Volk und die Welt und kündigte eine „Quarantäne“ Kubas an: Die Navy ließ keine Sowjet-Schiffe nach Kuba durch.

Ansturm auf die Geschäfte. Nun setzte die Periode der Hochspannung ein. Kennedy wollte seine Familie an einen sicheren Ort schicken. Seine Frau Jackie lehnte ab. In New Orleans und anderen Städten am Golf kauften die Leute die Supermärkte leer. Es begann ein Ringen nach Verhandlungslösungen. Dazu setzte Kennedy ein Arsenal diplomatischer und geheimdienstlicher Kanäle ein, einen Briefwechsel mit dem Kreml und „back channels“ über Journalisten und seinen Bruder, Justizminister Robert Kennedy. Vor dem UN-Sicherheitsrat gab es einen Schlagabtausch mit den Sowjets. Die Nato-Alliierten wurden bei der Stange gehalten, Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wie Argentinien und Venezuela stellten den USA Marineeinheiten für die Blockade zur Verfügung.

Am 26. Oktober forderte Castro von Chruschtschow einen nuklearen Erstschlag bei einem US-Angriff. Als eine sowjetische Luftabwehreinheit am 27. Oktober über Kuba eine U-2 abschoss und der Pilot starb, stand die Welt knapp vor dem Atomkrieg (vor allem aber, als ein Sowjet-U-Boot fast einen nuklearen Torpedo abgefeuert hätte, s. rechts). Doch dann nahm Chruschtschow tags darauf einen Vorschlag Kennedys an: Die USA versprachen eine Sicherheitsgarantie für Kuba, falls die Russen ihre Raketen abzögen; Letzteres geschah im November. 20 Jahre später wurde publik, dass Kennedy insgeheim auch den Abzug der Jupiter-Raketen aus der Türkei zugesagt hatte, was 1963 geschah. Man musste es verschweigen, da es Schwäche signalisiert hätte. Die Krise war auch ein Kampf dreier Machos.

Vom Klassenfreund enttäuscht. Die Kurzstreckenraketen, von denen die USA nichts wussten, blieben. Sie waren die Versicherung für den Fall, dass Kuba doch angegriffen würde. Doch Chruschtschow traute Castro nicht und ließ auch sie bald heimholen. Das enttäuschte den Caudillo zutiefst, der die „Imperialisten“ fürchtete.

Kennedy und Chruschtschow agierten, wie man jetzt sagen kann, mit Vorsicht. Castro war Kriegstreiber und bereit gewesen, sein Volk dem „schönen Tod“ eines Atomkrieges zu weihen.

Günter Bischof, gebürtiger Vorarlberger, ist Professor und Direktor des „CenterAustria“ an der historischen Fakultät der Universität New Orleans.